Das Fundament allen humanitären Handelns ist das Völkerrecht, welches in der Genfer Konvention betreffend Linderung des Loses der im Felddienst verwundeten Militärpersonen von 1864 seine Grundlage hat. Die Genfer Konvention geht zurück auf eine Initiative von Henry Dunant, der seine Kriegserfahrungen auf dem Schlachtfeld von Solferino während einer Geschäftsreise in Italien 1859 in Buchform veröffentlichte (Eine Erinnerung an Solferino, 1862) und eine internationale Regelung für den Umgang mit militärischen und zivilen Kriegsopfern forderte. Die Genfer Konvention umfasste zehn Artikel und regelte den Umgang mit Verwundeten und deren Hilfskräften, insbesondere die Einführung der Armbinde mit dem roten Kreuz auf weissem Grund als Schutzzeichen. Das ein Jahr vor Abschluss der Konvention gegründete Internationale Komitee der Hilfsgesellschaften für die Verwundeten-pflege, das seit 1876 den Namen Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) trägt, gab in den folgenden Jahrzehnten entscheidende Impulse zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts.
In diese Gründungsgeschichte und die Aufbaujahre des Roten Kreuzes eingeschrieben ist ein künstlerisches Engagement, das der Idee der Humanität im Kriege ein Gesicht geben wollte und damit eine breite Öffentlichkeit ansprechen und aufrütteln wollte: Dasjenige des Genfer Malers Edouard Castres, des Erschaffers des Bourbaki Panoramas. Auf diesem gigantischen Rundgemälde (10 Meter Höhe und 112 Meter Länge) von 1881 stellt der Künstler den Übertritt der französischen Ostarmee in die Schweiz am Ende des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 dar. Das Bourbaki Panorama ist wohl das erste grosse Kunstwerk, in welchem das Thema Humanität im Krieg visualisiert wird. Es zeigt den ersten Rotkreuz-Einsatz und die grösste Asylleistung in der Geschichte der Schweiz: die Situation von Anfang Februar 1871, bei welcher rund 35’500 französische Soldaten im Dorf Les Verrières im heutigen Kanton Jura (1’800 Einwohner) in die Schweiz übertraten. Dort – wie auch an anderen Übertrittsorten – wurde rund 87,000 hungernden, frierenden und verwundeten Soldaten in der Schweiz Asyl gewährt. Die Zivilbevölkerung und Sanitäter der Französischen und Schweizer Armee leisteten erste Hilfe, ausgestattet mit Armbinden des Roten Kreuzes.
Im Kontext unserer Ausstellung ist von besonderer Bedeutung, dass der Künstler selber ein humanitärer Aktivist war, der als Rotkreuz-Sanitäter auf Seiten der französischen Ostarmee humanitäre Hilfe leistete. Edouard Castres berichtete mit seinem Rundgemälde sozusagen «live» aus dem Krieg. Seine Skizzen von 1871 hat er zehn Jahre später im damals beliebten Massenmedium Panorama umgesetzt, damit eine breite Öffentlichkeit von dieser anderen Seite des Krieges erfahren sollte. Wie das vor mehr als hundert Jahren entstandene Bourbaki Panorama gibt es auch heute Kunstwerke, welche Fragen provozieren und unsere Aufmerksamkeit für die aktuellen Ausformungen humanitärer Krisen schärfen. Auch zeitgenössische Künstlerinnen und Künstlertragen damit zur Sensibilisierung für dringend notwendige Erweiterungen des humanitären Völkerrechts bei, wobei sie neue künstlerische Strategien einsetzen, welche in der Kommunikationsflut der heutigen Zeit das Publikum noch zu erreichen vermögen. Ueber das ganze Bourbaki Panorama Gebäude erstreckt sich ein Parcours mit diesen künstlerischen Positionen: Panoramaraum, Museum, Stadtbibliothek, Kunsthalle und Mall.